Was ist Migräne?
Migräne ist die am meisten verbreitete und
eine besonders unangenehme Kopfschmerzart. Die häufigste
Migräneform ist die Migräne ohne Aura. Sie verursacht
einen überwiegend einseitigen, pochenden, langsam
zunehmenden und länger andauernden Schmerz (4h bis 3
Tage) sowie Übelkeit und/ oder Erbrechen, auch Durchfall
und vermehrten Harndrang. Die Wahrnehmung von Licht,
Lärm und Geruch ist unangenehm gesteigert und führt zu
dem Bedürfnis, sich zurückzuziehen, abzuschotten und zu
schlafen. Manche Patienten haben nur 1-2 Attacken in
ihrem ganzen Leben, andere 1-2 Attacken pro Woche.
Zwischen den Attacken besteht Schmerzfreiheit. Die
Erkrankungswahrscheinlichkeit ist am höchsten im jungen
bis mittleren Lebensalter, es sind vorwiegend Frauen
betroffen. Die Diagnose wird noch sicherer, wenn auch
andere Familienmitglieder hierunter leiden. Eine
seltenere Form ist die sog. Migräne mit Aura. Sie
beginnt vor Einsetzen der Kopfschmerzen mit der sog.
Aura. Hierbei handelt es sich meistens um Flimmersehen
(oder vorübergehende Sehausfälle) vor beiden Augen, die
typischerweise in der Mitte des Sehfeldes beginnen, etwa
30 min anhalten und selten auch bis zu einer
kurzzeitigen weitgehenden Erblindung gehen können.
Andere Patienten bemerken eine veränderte Wahrnehmung
von Sehen, Fühlen, Hören oder Riechen, eine verwaschene
Sprache, Muskelschwäche oder Schwindel oder auch
leichtere, sich zunehmend verstärkende Kopfschmerzen.
Typischerweise vergehen zwischen dem Auftreten dieser
Beschwerden und dem Einsetzen des Migränekopfschmerzes
10-30 min. Treten diese Warnsymptome regelmäßig vor
Beginn des Kopfschmerzes auf, können schon während
dieser Zeit Medikamente zur Attackenunterbrechung
genommen werden.
Können bei Migränepatienten verschiedene
Kopfschmerzformen auftreten?
Nicht selten treten bei Migräne-Patienten
zusätzlich sog. Kopfschmerzen vom Spannungstyp auf, die
meist aufgrund der fehlenden Begleitsymptome wie
Übelkeit oder Licht/Lärmüberempfindlichkeit von der
Migräne abgegrenzt werden können. Spannungskopfschmerzen
sind auch eher über den ganzen Kopf verteilt, beginnen
im Nacken oder im Hinterkopf, sind eher drückend oder
werden als Bandgefühl um der Kopf herum
wahrgenommen.
Welche Ursache liegt der Migräne zugrunde? Ist
Migräne erblich?
Wie bei anderen (chronischen)
Schmerzerkrankungen auch wird bei der Migräne ein
multifaktorielles Geschehen angenommen, bei dem
verschiedene Faktoren eine möglicherweise individuell
unterschiedliche Rolle spielen. Migräne kommt zwar
familiär gehäuft vor, eine direkte Vererbung findet
jedoch nur bei seltenen Sonderformen statt. Den Beginn
der Migräneattacke bildet eine Irritation
schmerzvermittelnder Nervenzellen im Gehirn. Dies
passiert durch die Einwirkung äußerer Reize (z. B.
Rotwein oder Schlafrhythmusverschiebung) oder durch
innere Reize (z. B. Überlastung). Überlastungs- und
Überforderungserleben sind dabei weitgehend
psychologische Phänomene, die insbesondere bei den
Menschen häufiger vorkommen, die aufgrund ihres
Charakters zu ganz bestimmten Verhaltensweisen (z. B.
Perfektionismus) und Lebenseinstellungen (z. B. "Ich muß
immer pünktlich sein") neigen. Durch die Irritation
der schmerzvermittelnden Nervenzellen kommt es im
Bereich der Hirnhautgefäße zu einer Gefäßerweiterung und
zu Gewebewasseraustritt aus den Gefäßen, die für die
Migräneschmerzen verantwortlich sind. In der ersten
Phase der Migräne (Auraphase) kommt es zu einer
vorübergehenden Funktionsstörung von Gehirnzellen, die
für die teilweise den Migräneattacken vorangehenden
Ausfälle wie Sehstörungen (Flimmer und Schleiersehen,
Lichtblitze und Gesichtsfeldeinschränkungen) und
Kribbelmißempfindungen verantwortlich sind. In dieser
Phase können sehr vielfältige Beschwerden auf die bald
auftretenden Kopfschmerzen hinweisen.
Kann es zu bleibenden Schäden kommen?
Nur sehr selten kommt es zu einem meist
nicht vorhersehbaren Hirninfarkt (Durchblutungsstörung
des Gehirns) während oder nach der Migräne. Ein erhöhtes
Risiko besteht, wenn eine Migräne ohne Aura, z. B. nach
Einnahme der "Pille" oder nach Beginn des
Zigarettenrauchens in eine Migräne mit Aura übergeht. In
solchen Fällen sollte der Arzt aufgesucht werden, auch,
da sich in seltenen Fällen eine andere Erkrankung hinter
der Migräne verbergen kann. Die Furcht vieler Patienten,
an einer schweren Erkrankung wie einem Hirntumor zu
leiden, kann durch den Arzt, gegebenenfalls durch
weitere Untersuchungen, ausgeräumt werden. Als
Warnsignale für einen Hirntumor oder andere ernsthafte
Hirnerkrankungen gelten neuartige, erstmals auftretende
Kopfschmerzen, Kopfschmerzen nach Schädelverletzung bzw.
nach Belastung, besonders abrupt einsetzende stärkste
Kopfschmerzen und neurologische Begleitsymptome wie
Bewußtseinsminderung, epileptische Anfälle,
Wesensveränderungen, Lähmungen, Nackensteifigkeit,
Fieber und andere.
Wie kann man Migräne behandeln?
Die meisten Migräneattacken sind so
leicht, daß die Patienten keine medikamentöse Behandlung
wünschen, so daß die Medikamente hauptsächlich für
schwerer betroffene Patienten gedacht sind. Migräne ist
nicht heilbar. Die Kopfschmerzentstehung und -belastung
läßt sich jedoch durch 4 prinzipielle
Behandlungsmöglichkeiten mindern:
- Vermeidung von Auslösern
- nichtmedikamentöse Attackenbehandlung
- medikamentöse Attackenbehandlung
- vorbeugende medikamentöse Attackenvermeidung
Vermeidung von Auslösefaktoren für
Migräneattacken
Migräneattacken können durch bestimmte
Auslöser (mit)verursacht werden. Der Patient sollte
prüfen, ob einer oder mehrere der folgenden Faktoren
(besonders auch in beliebigen Kombinationen) die
Migräneattacken auslösen könnten:
- Stress, Überanstrengung, Entlastung,
Perfektionismus. Regelmäßig ausgeübte
Ausdauersportarten gelten dagegen als
attackenverhindernd.
- Orale Antikonzeptiva ("Pille").
- Überspringen oder Verschieben von Mahlzeiten (auch
durch zu langes Schlafen am Wochenende), einseitige
oder unzureichende Ernährung, weniger als 3
regelmäßige Mahlzeiten/Tag. Die Einhaltung einer Diät
ist generell nicht notwendig.
- Zuwenig, zuviel oder zeitlich verschobener
Schlaf.
- Bestimmte Nahrungsmittel wie Rotwein,
Milchprodukte, (gealterter) Käse, Schokolade,
alkoholische Getränke, Nüsse, Zitrusfrüchte, fettige
Speisen (insbesondere Würste, Schinken, Salami,
Schweinefleisch), Eier, Korn, Bohnen, Zwiebeln, Tee,
Kaffee und Seefrüchte, Muskat, Additive wie Nitrate,
Glutamat, Salz, Aspartat, Tyrainin.
- Medikamente (besonders im höheren
Lebensalter):
- Vasodilatatoren (Nitroglyzerin, Isosorbitdinitrat,
Nikotinsäure, Dipyridamol)
- Blutdrucksenker (Dihydralazinsulfat)
- Antiarrhythmika (Disopyramid)
- Bronchodilatoren (Theophylline u.a.)
Antirheumatika (z. B. Indometacin)
- Beruhigungsmittel und Antiepileptika
(Benzodiazepine, Barbiturate)
- Stimulantien (Koffein, Methylphenidat,
Pemolin)
- Antiparkinsonmittel (L-Dopa, Amantadin)
- Antibiotika (Trimethoprim-Sulfamethoxazol,
Ofloxacin)
- Chemotherapeutika (Cyclophosphamid)
- Östrogene, Antiöstrogene, Hydralazin, Vitamin
A.
- Übermaß an Hitze, Kälte, Geräuschen, Licht und
Geruchswahrnehmungen.
Kopf/Nackenschmerzen durch
Augen, Nasennebenhöhlen, Zahn und
Gebißerkrankungen.
- Bluthochdruck.
Eine Überbewertung von Migräneauslösern
und damit eine zu starke Einschränkung seiner
Lebensgewohnheiten sollte der Patient jedoch bleiben
lassen, nur bei einem Teil der Patienten (etwa 10%)
lassen sich eindeutige Ursachen nachweisen.
Nichtmedikamentöse Attackenbehandlung
Verfahren wie Entspannungs- oder
Streßbewältigungstraining sind sicher wirksam in der
Migränevorbeugung. Sie erfordern einen hohen Zeitaufwand
mit meist mehreren Besuchen bei entsprechend
ausgebildeten Therapeuten. Da dies insbesondere bei
Patienten mit intensiver beruflicher oder sonstiger
Belastung oft zeitlich nicht möglich ist, bleibt bei
stärkerer Kopfschmerzintensität nur die medikamentöse
Attackenkupierung. Aufgrund der oben beschriebenen
Veränderungen im Gehirn und den Blutgefäßen sind die
Erfolgsaussichten, eine Migräneattacke ohne Medikamente
beenden zu können, gering. Allgemein akzeptierte
nichtmedikamentöse Behandlungsmöglichkeiten bestehen in
der Anwendung von Entspannungsübungen und Rückzug in
ruhige Räume, ggfs. mit der Möglichkeit, die Attacke
"auszuschlafen" Einzelne Patienten profitieren jedoch
auch von intensiver Massage der Schläfenarterien oder
von Eisbeuteln über den besonders schmerzhaften
Schädelpartien. Als nicht wirksam gelten passive
physikalische Verfahren wie "Einrenken", Massagen,
Fangopackungen, Reizströme und Magnetfelder,
Halskrawatten, Kuren etc., aber auch
Injektionsbehandlungen, Frischzellen und vieles mehr.
Die Wirksamkeit der Akupunktur ist nicht ausreichend
gesichert. Vereinzelt lassen sich im Frühstadium die
Attacken durch Joggen abbrechen. Bei der Behandlung
der Migräne schließen sich medikamentöse und
nichtmedikamentöse Verfahren nicht gegenseitig aus,
sondern sind eng miteinander verknüpft. Analog zur
medikamentösen Behandlung können die psychologischen
Verfahren unterschieden werden in Verfahren mit
anfallskupierender Wirkung (Biofeedback, allg. Verfahren
zur Schmerzbewältigung), und Verfahren mit
prophylaktischer Wirkungsweise
(Streßbewältigungstraining, Entspannungstechniken,
kognitiv-verhaltensorientierte Verfahren). Begleitet
wird die kombinierte Behandlung von der Vermittlung
ausführlicher Informationen über Ursachen der Migräne
und deren jeweilige Behandlungsmöglichkeiten. Der
Einbezug der unmittelbaren Bezugspersonen ist
sinnvoll.
Medikamentöse Attackenbehandlung
Wie wirkt die Medikation?
Die verfügbaren Medikamente reduzieren
während der Schmerzphase der Migräneattacke die
Gefäßerweiterung und verringern damit die hierdurch
bedingten Schmerzen. Je länger jedoch die Migräneattacke
besteht, um so weniger wirken die Medikamente.
Rechtzeitige Einnahme, ausreichende Dosis sowie
möglichst schnelle Verfügbarkeit sind damit ganz
wichtige Voraussetzungen für den Erfolg der Behandlung.
Zu späte Einnahme ist der häufigste Grund für ein
Versagen der medikamentösen Behandlung!
Wann genau sollen die Medikamente eingenommen
werden?
Wichtig ist, die Medikamente möglichst in
der Frühpliase der Migräneattacke anzuwenden, möglichst
noch vor Beginn der Gefäßerweiterung. In der Praxis
bedeutet dies, daß der Patient seine Medikamente immer
verfügbar haben sollte (z. B. wenige Tabletten in der
Handtasche oder im Geldbeutel). Weiterhin sollte er
seine Migräneattacken genau beobachten, um die sehr
vielfältigen Frühsymptome entsprechend genau
unterscheiden zu können. Der Patient sollte selbst nach
Rücksprache mit dem behandelnden Arzt eine
experimentierfreudige Haltung einnehmen, auch andere
Medikamente auszuprobieren, und, falls keine Wirkung
eintritt, beim nächsten Mal entweder das Präparat, die
Dosis, den Einnahmezeitpunkt oder die Einnahmeform (z.
B. Zäpfchen oder Tablette) ändern. Der Erfolg der
Attackenbehandlung der Migräne hängt ganz wesentlich von
der individuellen Anpassung der optimalen Medikation ab;
in Zweifelsfällen ist jeweils der behandelnde Arzt zu
befragen. Der Mehrzahl der Patienten gelingt es
jedoch entweder trotz genauer Beobachtung nicht,
Warnsymptome zu entdecken, oder sie werden ohne
Vorwarnung schon mit Kopfschmerzen wach. In diesem Fall
lohnt es sich dennoch, auf sehr subtile Veränderungen zu
achten, die sich auch schon am Vortag bemerkbar machen
können (sog. Vorahnungs- oder Prodromalphase). In Frage
kommen Verhaltensänderungen mit Stimmungsschwankungen,
Gereiztheit, Müdigkeit oder auch Übelkeit, Heißhunger
auf Salz oder Schokolade, Gewichtszunahme, bedingt durch
Wassereinlagerung mit Schwellung von Armen und Beinen
u.a. Der Patient sollte Symptome, die ihm auffallen, im
Kopfschmerzkalender notieren (s. unten) und mit seinem
Arzt besprechen, da bei einem Teil dieser Patienten
durch medikamentöse Behandlung schon in dieser Phase das
Auftreten der Attacke verhindert werden kann.
Wie ist der derzeitige Standard in der
medikamentösen Attackenunterbrechung?
Der Patient sollte zunächst einen
Kopfschmerzkalender führen, in dem er die
Attackenhäufigkeit und -schwere, die Menge der
benötigten Medikamente und deren Effizienz notiert. Nur
dann sind er und der behandelnde Arzt auch nach
langjährigem Verlauf noch in der Lage, die für ihn
optimale Medikation aus der Vielzahl der heute
verfügbaren Möglichkeiten auszuwählen. Weit
verbreitet ist folgendes, stufenweises Vorgehen in der
Migränebehandlung, bei dem zunehmend wirksamere, aber
auch nebenwirkungsträchtigere Medikamente eingesetzt
werden. je nach Schwere der Attacken können einzelne
Stufen übersprungen werden. Falls trotzdem keine
Besserung erzielt werden kann, müssen Alternativen
erwogen werden. Attacke ausschlafen, wenn dies
möglich ist. Mittel gegen Übelkeit (Antiemetika) ganz
zu Beginn der Attacke nehmen. Diese Mittel behandeln
nicht nur die Übelkeit, sondern mobilisieren die
Magen-Darm-Muskulatur, die durch die Migräneattacke
"gelähmt" wird. Durch Antiemetika wird die Aufnahme des
eigentlichen Schmerzmittels in die Blutbahn begünstigt.
Verwendet werden: Domperidon (Motilium®) (30-60-100
Tropfen, je nach individueller Wirkung bei vorangehenden
Attacken) und Metoclopramid (Paspertin®, Duraclamid®,
Gastrosil®) (30-60 Tropfen, Zäpfchen 20mg). Wegen selten
auftretenden unwillkürlichen Bewegungen im Bereich des
Kopfes über mehrere Stunden nach Einnahme von
Metoclopramid sollte bei Kindern und Jugendlichen
Domperidon bevorzugt werden. 5-30min später werden
Schmerzmittel wie Azetylsalizylsäure (Aspirin+C®) oder
Paracetamol (benu-ron®) oder Naproxen (Proxen®)
eingenommen. Eine hohe Dosis zu Beginn (z. B. 2
Tabletten) ist bei schwereren Attacken unbedingt ratsam,
da mehrere kleine Dosen oft zu geringe
Wirkstoffkonzentrationen im Blut bilden. Die Höchstdosis
pro Tag liegt bei etwa 4 Tabletten Azetylsalizylsäure
oder Paracetamol pro Tag. Azetylsalizylsäure sollte in
möglichst schnellöslicher Form (Brausetabletten, Aspirin
direkt Kautabletten®) und mit viel Wasser (ca. 200ml)
eingenommen werden, damit die Magensäure, die die
Aufnahme des Aspirins in den Körper behindert, etwas
abgepuffert wird und ein schnellerer Weitertransport in
den Zwölffingerdarm erfolgt. Aspirin sollte nicht bei
Patienten mit Magenschleimhautentzündungen und Asthma
eingesetzt werden; Paracetamol führt, wie andere
Schmerzmittel auch, bei chronischer Einnahme zu
Nierenschäden, bei zu hoher Einmaldosierung ab etwa 6g
zu akuter Leberschädigung. insbesondere ist von
kombinierter Einnahme von Azetylsalizylsäure und
Paracetamol abzuraten. Erst wenn sich diese Therapie
nicht bewährt, sollte Ergotamintartrat (Celetil®,
Cafergot®), angewendet werden. Ergotamine gelten bei
vergleichbarer Wirksamkeit als nebenwirkungsreicher als
die nachfolgend beschriebenen Substanzen. Im Laufe der
nächsten Jahre werden sie an Bedeutung
verlieren. Nach Versagen dieser Möglichkeiten werden
die neuen, sehr spezifisch wirksamen Serotoninagonisten
(Imigran®, Ascotop®, Naramig®, Maxalt®) eingesetzt. Bis
zu 80% der Patienten verzeichnen eine wesentliche
Besserung aller Symptome innerhalb von 30-60min. Wenn
diese Tabletten, Zäpfchen oder das Nasenspray versagen,
ist die Injektion von Imigran® unter die Haut durch den
Patient selbst mit einem sog. Autoinjektor nochmals
wirksamer. Die erste Injektion muß unter Aufsicht eines
Arztes eingenommen werden, da es in sehr seltenen Fällen
zu Herzmuskeldurchblutungsstörungen kommen kann. Bei bis
zu 40% der erfolgreich behandelten Patienten kommt es
zum Wiederaufflackern der Attacke innerhalb von 48h,
wobei dann je nach Schmerzintensität eine zweite
Tabletteneinnahme notwendig wird. Patienten mit
Herzkranzgefäßverengung oder mit entsprechenden
Gefäßrisikofaktoren (Nikotin, hoher Blutdruck,
wesentliche Blutfett- und Cholesterinerhöhung) sollten
kein Imigran® einnehmen. Schwangerschaft und Stillzeit,
Epilepsie, eingeschränkte Leber- und Nierenfunktion sind
weitere Gründe gegen eine Imigraneinnahme.
Können die Medikamente über- oder unterdosiert
werden?
Eine Unterdosierung ist dann möglich, wenn
bei fehlenden Nebenwirkungen und sonst korrekter
Durchführung keine Linderung eintritt. Ziel der
Migräneattackenbehandlung ist es, im Körper möglichst
rasch einen möglichst hohen Wirkstoffspiegel zu
erreichen. Viele über den Tag verteilte Dosen sollten
vermieden und statt dessen gleich zu Beginn der Attacke
die volle Dosis eingenommen werden. Zwei Tabletten
Aspirin®, im Abstand von 1h eingenommen, können
wirkungslos sein; nimmt man die gleiche Dosis jedoch
ganz zu Anfang der Attacke, ist die Erfolgschance höher.
Auch bei Ergotaminpräparaten können Unterdosierungen
vorkommen, da die zur Attackenunterbrechung notwendige
Medikamentendosis wegen der sehr unterschiedlichen
Aufnahmebereitschaft von Magen und Darm von Patient zu
Patient zwischen 0,25mg und 3mg schwankt. Eine
Überdosierung ist insbesondere bei Ergotaminpräparaten
dann zu vermuten, wenn nach Einnahme Übelkeit auftritt
oder die bestehende Übelkeit noch zunimmt. Weitere
Symptome einer Ergotaminüberdosierung sind Erbrechen,
allgemeine Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen,
Muskelschmerzen, Kältegefühl und Kloßgefühl im Hals. Da
all diese Beschwerden auch bei Migräne vorkommen, muß
Änderungen der gewohnten Migränesymptomatik besondere
Aufmerksamkeit gewidmet werden. Wegen der von Patient zu
Patient individuell stark schwankenden Aufnahmekapazität
des Magen-Darm-Traktes für dieses Medikament kann
niemand die für einen Patienten optimale Dosis
vorhersagen, man muß experimentieren. Ist der Patient
nicht sicher, so sollte er zu einer Zeit in der er keine
Migräneattacke hat, probeweise ein Ergotaminpräparat
einnehmen. Ein 2-mg-Zäpfchen ist hierzu in 4 Teile zu
teilen und jeweils in Abständen von etwa 1h sind 500µg
(l/4 Zäpfchen) in den Darm einzuführen. Die Dosis, bei
der z. B. Übelkeit auftritt, ist zu notieren. Mit der so
bestimmten maximalen Ergotaminmenge steht die
individuelle Dosis fest, die dem Patienten noch
Nebenwirkungsfreiheit garantiert. Eine Maximaldosis von
3mg Ergotamintartrat (1,5 Zäpfchen) pro Attacke oder ca.
20mg/Monat sollte generell nicht überschritten
werden. Von großer Bedeutung ist der sog.
Analgetikakopfschmerz.
Chronische Schmerzmitteleinnahme in zu hohen Dosen
verstärkt die Migräne!
Akut befürchtet werden muß dies, wenn
rückblickend über die letzten Monate die
Attackenhäufigkeit gegenüber den Vorjahren zugenommen
hat. Auch bei einer Einnahme von mehr als etwa 20mg
Ergotamin pro Monat oder bei mehr als 2-3
Einnahmeepisoden pro Woche oder wenn mehr als 3mg
Ergotamin pro Attacke zur Schmerzlinderung erforderlich
werden, muß ein Analgetikakopfschmerz in Erwägung
gezogen werden.
Ist eine vorbeugende medikamentöse
Attackenverminderung (Prophylaxe) sinnvoll?
Die vorbeugende Behandlung lohnt sich nur
bei erheblicher Kopfschmerzbelastung. Andernfalls
sollten Schmerzmittel lediglich zur Unterbrechung einer
schon eingesetzten Kopfschmerzattacke eingenommen
werden. Wirksam ist die vorbeugende Behandlung bei
starker Schmerzbelastung nur, wenn es sich sicher nicht
um einen schmerzmittelverursachten Kopfschmerz aufgrund
zu hoher Schmerzmitteleinnahme handelt. Bei einer
sehr starken Migränebelastung mit häufigen (mehr als 2-4
pro Monat) und sehr intensiven, lang anhaltenden
Attacken oder bei komplizierter Migräne mit Lähmungen
und Sehstörungen, die länger als 1 Tag anhalten, kommt
eine vorbeugende (prophylaktische) Behandlung z. B. mit
einer täglichen Einnahme von Betablockern (z. B. Beloc
Zok® 100-200mg) in Betracht. Alternative Präparate sind
Flunarizin (Sibelium®) und Pizotifen (Sando migran®).
Nach etwa 6-9 Monaten sollten Prophylaktika (Mittel zur
Vorbeugung) langsam nach und nach abgesetzt abgesetzt
werden, um Gewißheit über den Therapieerfolg zu haben,
oder um zu klären, ob nicht auch eine spontane Besserung
der Migräne stattgefunden hat. Die Hinweise auf dem
Beipackzettel des Medikamentes sind sorgfältig zu lesen;
wenn Unklarheiten bestehen, ist der Arzt zu fragen.
Nicht eingenommen werden dürfen Betablocker (Dociton®,
Propanolol, Metoprolol) bei Diabetes mellitus, AV-Block
Il. und III. Grades, manifester Herzinsuffizienz, Asthma
bronchiale und Sinusknotensyndrom. Die medikamentöse
Attackenprophylaxe hat zum Ziel, durch regelmäßige
Einnahme bestimmter Medikamente auch in der
schmerzfreien Zeit das Auftreten von Migräneattacken zu
verhindern. Unregelmäßige Einnahme gefährdet dieses
Ziel. Die zur Prophylaxe wirksamen Medikamente sind
keine Schmerzmittel, sie sind daher zur Behandlung einer
schon begonnenen Migräneattacke wirkungslos. Ziel jeder
Migränetherapie muß ein möglichst effizienter
Medikamenteneinsatz sein. Sicherzustellen ist daher, daß
alle Anstrengungen unternommen wurden, durch Vermeidung
von Auslösern die Belastung zu verringern. In einzelnen
Fällen reduziert Ausdauersport Attackenhäufigkeit,
-dauer und -intensität. Keines der derzeit
verfügbaren Vorbeugungsmittel gewährleistet 100%ige
Besserung. Die Kopfschmerzattacken werden nur solange
unterdrückt, wie das Medikament eingenommen wird. Ziel
ist eine wesentliche Reduktion der Schmerzbelastung,
eine Heilung ist medikamentös nicht möglich. Um den
Behandlungserfolg sicher beurteilen zu können, ist
erstens die Führung eines Kopfschmerzkalenders (s.u.)
und zweitens eine minimale kontinuierliche
Behandlungsdauer von mehreren Monaten
erforderlich.
Literatur
Diener HC, Brauer KG: Kopfschmerz, Migräne - was tun?
Medpharm, Stuttgart,
1994
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